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Politikunterricht |
Hans-Dietrich Zeuschner, 05.09
Ein Beitrag zur „Alltagstauglichkeit des Politikunterrichts“
Zur Begründung von Politik als eigenständige Wissenschaft “Geschichte, Soziologie, Psychologie, Rechtswissenschaft, Philosophie, Ökonomie: Was bleibt da für ein Sonderfach der Wissenschaft, das das Politische als Objekt hat? Zunächst eben gerade das. Nämlich, dass keine der sechs imperialistischen Nachbarwissenschaften berechtigt ist, das beanspruchte Gebiet ganz zu annektieren. Wenn ständig sechs Scheinwerfer nötig sind, um eine gewisse Realität zu beleuchten, so bildet die Verbindung der Sechs eine besondere ja autonome Beleuchtungsstruktur wie jeder einzelne Scheinwerfer, der ja auch nie sein Licht völlig selbst schöpft.“ “Das Politische ist nicht alles, aber es ist in allem. Gestern wäre eine solche Feststellung provozierend gewesen; heute wird sie nur allzu leicht als wahr aufgenommen. Eben deshalb glaubt jeder, er sei berechtigt, über Zusammenhänge zu sprechen, als bräuchte er kein besonderes Wissen, als bräuchte man keine Politikwissenschaft. Genau das Gegenteil trifft zu. Es ist mindestens ebenso mühsam, es bedarf mindestens ebenso vieler Fachausbildung, um die empirischen Gegebenheiten und die etwaigen theoretischen Grundlagen oder konzeptionellen Gebäude des Politischen zu beherrschen, wie das (z.B., der Verf.) in der Soziologie oder in der Wirtschaftswissenschaft der Fall ist.“ (Alfred Grosser) |
Das vorstehende Zitat weist auf die Notwendigkeit von politischer Bildung. bzw. von fach- und sachgerechtem Politikunterricht in Schulen hin. Im Focus des nachstehenden Beitrags steht zunächst das Politikverständnis von Lehrkräften, danach werden einige Lernvoraussetzungen von Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, veröffentlicht in der 15. Shell Jugendstudie von 2006, beleuchtet.
Das Instrumentarium für die Vorbereitung
● Der Politikbegriff
Politikunterricht soll an grundlegenden sozialen Erfahrungen der SchülerInnen und an ihrem politischem Vorwissen anknüpfen, beides ordnen, bewusst machen, es erweitern und für das Verständnis von komplexen Zusammenhängen nutzbar machen. Für die Planung und Durchführung von Politikunterricht sind die Wahl der didaktischen Perspektive und die Formulierung des Themas von entscheidender Bedeutung. Hierbei müssen die PolitiklehrerInnen eine konkrete Vorstellung davon haben, was Politik kennzeichnet, oder anders formuliert:, sie benötigen einen eigenen unverkürzten Politikbegriff, der die Vielzahl der prägenden Elemente und Strukturen sowie Aspekte der politischen Wirklichkeit zusammenhält, sie integriert, strukturiert und systematisiert.
Politikbegriffe basieren auf verschiedenen ideengeschichtlichen Traditionen und Erfahrungen sowie auf unterschiedliche Interessen. Es gibt weder einen einzigen noch den richtigen Politikbegriff, vom politikwissenschaftlichen Standpunkt her gesehen können
Frieden – Herrschaft – Konflikt – Macht
die wesentlichen Kennzeichen sein.
● Die drei Dimensionen des Politischen
- Politik hat eine institutionelle Dimension (engl.: polity),
die durch Verfassung, Rechtsordnung und Tradition geprägt ist. Der Handlungsspielraum wird durch Institutionen abgesteckt. U.a. durch die Institutionen Wahlen, Grundrecht auf Meinungsfreiheit, Parteien und Verbände werden die Grundsätze der politischen Willensbildung kanalisiert.
Beispiel: Sach- und Problembereich: Arbeitslosigkeit - Didaktische Perspektive: SchülerInnen sollen die rechtlichen Grundlagen des Sozialstaates kennen, sich die wesentlichen Elemente des Systems der sozialen Sicherung erarbeiten und überprüfen, welche Bedeutung sie für Arbeitslose besitzen. – Thema: Fällt der Arbeitslose in eine soziale Hängematte?
- Politik hat weiterhin eine normative, inhaltliche Dimension (engl.: policy).
Sie beschäftigt sich mit den Zielen, Inhalten und Gegenständen von Politik, z.B. in den Feldern Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Die Gestaltung und Erfüllung der Aufgaben wird durch die unterschiedlichen Interessen der Institutionen geprägt und bietet Konfliktstoff, der insbesondere vor Wahlen über die Medien zu dem Wahlvolk transportiert wird.
Beispiel: Sach- und Problembereich: Arbeitslosigkeit – Didaktische Perspektive: Die SchülerInnen sollen die Ursachen von Arbeitslosigkeit analysieren, die Auswirkungen auf die Betroffenen kennen lernen sowie ihre ökonomischen, sozialen und politischen Folgen überprüfen. – Thema: Keine Arbeit – keine Zukunft?
- Politik hat außerdem eine prozessuale Dimension (engl.: politics).
Sie beschäftigt sich mit Prozessen, die zwischen den Institutionen des politischen Geschehens bei Interessenkonflikten, beim Streit um Macht und Einfluss ablaufen, der besonders in Wahlkampfzeiten deutlich zu Tage tritt.
Beispiel: Sach- und Problembereich: Wahlen – Didaktische Perspektive: Die SchülerInnen sollen prüfen, wie wirksam die Beteiligung an Wahlen im politischen Willensbildungsprozess ist. – Thema: Lohnt es sich zu wählen?
- Auf der gleichen Ebene wie politics liegt ein weiterer Arbeitsbegriff der Politikwissenschaft für den politischen Unterricht:
Politik als Prozess der Problemlösung
Er beschreibt Politik „als eine prinzipiell endlose Kette von Versuchen zur Bewältigung von gesellschaftlichen Gegenwarts- und Zukunftsproblemen.“ (Massing, P. /Skur, W.) und enthält die Kategorien
PROBLEM > AUSEINANDERSETZUNG > ENTSCHEIDUNG > VOLLZUG DER ENTSCHEIDUNG > BEWERTUNG > REAKTIONEN > NEUES PROBLEM
Jeder Kategorie sind sog. Schlüsselfragen zugeordnet, die sich ausdifferenzieren und weiter konkretisieren lassen:
Problem | Worin besteht das Problem? Welche Aufgabe hat die Politik zu lösen? |
Auseinandersetzung | Was wirkt auf die Auseinandersetzung ein? Wie verläuft die Auseinandersetzung? |
Entscheidung |
Zu welchen Ergebnissen hat die
Auseinandersetzung/der Willensbildungs- und Entscheidungsprozess geführt?
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Vollzug der Entscheidung |
Wie wird die Entscheidung umgesetzt?
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Bewertung der Entscheidung |
Wie wird die Entscheidung bewertet?
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Reaktionen |
Welche Reaktionen sind zu erkennen und zu
welchen neuen Problemen können sie führen?
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In den Nds RRL für das Unterrichtsfach Politik in berufsbildenden Schulen, Stand: Juni 1994,
als ein Beispiel, werden als Didaktische Prinzipien für den Politikunterricht
Arbeits- und Berufsorientierung
Situationsorientierung
Problemorientierung
Zukunftsorientierung
genannt und ist der politischen Handlungsbereich wie vorstehend dargestellt strukturiert und akzentuiert.
Ein Nachschlagwerk
Die unterschiedlichen Sozialisationen von Schülern bzw. Jugendlichen, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen bewirken uneinheitliche politische Orientierungen, Einstellungen, Interessen und Aktivitäten. Die Folge hiervon sind heterogene Lernvoraussetzungen in einer Lerngruppe. Deshalb ist es zwingend erforderlich, regelmäßig mit Hilfe von Zielgruppenanalysen allgemein und für die einzelnen Themen speziell, die Einflussfaktoren zu ermitteln und für den Politikunterricht nutzbar zu machen. Einen pauschalen Überblick liefert u. a. die jüngste Shell Jugendstudie; nachstehend eine kleine Auswahl von Ergebnissen. Eine recht informative Zusammenfassung ist im Internet zu finden. Die vollständige Studie ist als Fischer Taschenbuch für € 14,95 erhältlich.
● Kapitel Politik und Gesellschaft
Der Anteil der politisch interessierten Probanden verändert sich kontinuierlich, wie diese Zeitreihe belegt: 55% (1984) - 57% (1991) - 34% (2002) - 39% (2006). Ob der letzte Wert eine Trendwende signalisiert bleibt abzuwarten. Im Unterschied dazu reklamieren mehr als zwei Drittel der Studierenden und Gymnasiasten für sich ein Interesse an Politik
24 % „politisierte“ Probanden stehen für Mitbestimmung und Engagement, orientieren sich eng an den Normen der Demokratie
Eine breite Mehrheit in Ost und West äußert Politik- und Parteienverdrossenheit, erkennt jedoch die grundlegenden Spielregeln der Demokratie an.
28 % zählen zu den „politisch kritischen“ Probanden. Sie charakterisieren sich selber als „politikverdrossen“ und Gegner der Parteipolitik, allerdings orientieren sie sich an den Grundwerten der Demokratie und akzeptieren die Grundwerte der Demokratie und damit unser gesellschaftliches System.
28 % gehören zu den „politisch desinteressierten“ Probanden, sie haben so gut wie kein Interesse an Politik
19 % der Probanden werden als „ordnungsorientiert“ einsortiert. Diese Gruppe wünscht sich, dass politische Angelegenheiten straff und ohne große Debatten geregelt werden.
> “Politisch sein“ ist heute nicht unmittelbar „in“ <
64% der Jugendlichen in den alten Bundesländern und 41 % in den neuen Bundesländern ist mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen sehr zufrieden bzw. zufrieden.
9 % der Jugendlichen in den alten und 14 % in den neuen Bundesländern hält die Demokratie in Deutschland - im Gegensatz zu einer großen Mehrheit - nicht für eine gute Staatsform.
Im Hinblick auf das Vertrauen, das die Jugendlichen den gesellschaftlichen Institutionen und Akteuren entgegen bringen, ergibt sich folgende Rangfolge von hoch bis tief: Justiz und Polizei - Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen - Bürgerinitiativen und Gewerkschaften - Bundesregierung und Kirchen - politische Parteien.
● Zur 15. Shell Jugendstudie – Jugend 2006
Die im Internet veröffentlichte Zusammenfassung der Studie ist in folgende Abschnitte gegliedert:
Gemischte Zukunftsaussichten - Schlüsselfrage Bildung - Bedeutungszuwachs der Familie - Freizeit und Gesundheit - Politik und Gesellschaft - Bezug auf Politik - Engagement für andere …… - Toleranz und Alltagsverhalten - Herausforderung demografischer Wandel - Europa und Globalisierung - Stabile Wertorientierungen - Pluralität und Werthaltungen - Werte und die Zuwanderungsfrage - Keine Renaissance der Religion - Große religiöse Unterschiede - Religion und Werte - Jugend in einer alternden Gesellschaft:……. – Methodik
● Wer hätte das gedacht?
Was haben die Begriffe > Politikunterricht< und >Alltagstauglichkeit< miteinander zu tun? Antwort: Durchaus nicht wenig, wie das DUDEN-Herkunftswörterbuch aufzeigt.
„Alltag (um 1800; junge Rückbildung aus Wörtern wie >Alltagskleid, Alltagsmensch< in denen älteres, >alle Tage, alletage<, >>täglich; gewöhnlich<< steckt;“ ….
„Was meint Alltagstauglichkeit? – Um „taugen“ gruppieren sich im germ. Sprachgebrauch u.a. „Tugend behandelte Bildungen“ Unter dem Einfluss von Anschauungen des Christentums bekam das Wort einen sittlichen Sinn (als Gegensatz zu >Laster<)“
Von der „Alltagstauglichkeit des Politikunterrichts“
zur „ALLTAGS“-Planung von Unterricht“
Universität
Hannover
I f B, Abt. Personal und Arbeit |
Didaktik der
Wirtschaftskunde Hans-Dietrich Zeuschner |
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Zur "ALLTAGS"-Planung von Unterricht
Anmerkungen |
Hans Dietrich Zeuschner
Verwendete Literatur:
Hrg. Shell in Deutschland: 15. Shell Jugendstudie – Jugend 2006
Hans-Dietrich Zeuschner: Zur „Alltagsplanung von Unterricht“, Arbeitsblatt für LA „Didaktik der Wirtschaftskunde“, 1999
Hans-Dietrich Zeuschner: Jugend und Politik- eine Situationsskizze in Politik UNTERRICHTEN 1/1996
Hrg. Institut für empirische Psychologie Köln:“ Wir sind o.k.!“ in IBM Jugendstudie; Köln, 1995
Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung: Politikdidaktik kurzgefasst, Bonn, 1994
Hrg. Nds Min Kult: Rahmenrichtlinien für das Unterrichtsfach Politik in berufsbildenden Schulen, Hannover 1994
Dieser Beitrag wurde weder gekürzt noch inhaltlich verändert.
redaktionell bearbeitet 18.05.09
Wiesinger
19.02.2015